Rupture and Reckoning: Guantánamo Turns 20
Auch nach 20 Jahren ist Guantánamo nach wie vor in Betrieb. Damit bleibt es ein …
Im Oktober 1998 wurde der chilenische Ex-Diktator Augusto Pinochet in London wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhaftet. Ein Wendepunkt in der Geschichte der internationalen Strafverfolgung von Völkerstraftaten, auf den kaum noch jemand zu hoffen wagte. Jahrelang hatten Betroffene, Rechtsanwält*innen und Aktivist*innen Beweise für die ihm vorgeworfenen Verbrechen gesammelt und dokumentiert, ohne zu wissen, ob es jemals zum Prozess kommen würde. Obwohl die Verhaftung Pinochets nicht zu einer Verurteilung führte, markiert sie den Beginn einer neuen Ära in der internationalen Menschenrechtsarbeit und im Kampf für globale Gerechtigkeit. Das ECCHR ist seit nunmehr 15 Jahren ein Teil davon.
Zeit ist ein wichtiger Faktor jeder juristischen Praxis, hinsichtlich der Verhandlungsdauer ebenso wie mit Blick auf die Eröffnung eines Verfahrens. Der Faktor Zeit ist auch relevant unter dem Aspekt der komplexen Konsequenzen juristischer Interventionen. In den 15 Jahren, in denen sich das ECCHR für die Durchsetzung der Menschenrechte einsetzte, waren Geduld und Ausdauer bei den zahlreichen oft langwierigen juristischen Interventionen unerlässlich. In der strategischen Prozessführung sehen wir das Gesetz als ein Instrument, das langfristig gesellschaftliche Veränderungen bewirkt. In unserem Kampf für die Menschenrechte wehren wir uns gegen die repressiven Elemente des Rechts und betreten dabei neues juristisches und politisches Terrain.
Die Durchsetzung des internationalen Völkerstrafrechts und des humanitären Völkerrechts obliegt mehreren namenhaften Institutionen, wie dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Da diese jedoch nicht immer in der Lage oder willens sind zu handeln, wenn sie mit besonders schweren Menschenrechtsverbrechen konfrontiert sind, gibt es auch andere Wege zu Gerechtigkeit: Der Grundsatz des Weltrechtsprinzip (Prinzip der Universellen Jurisdiktion) besagt, dass die Pflicht zur Strafverfolgung bei besonders schweren Verbrechen nicht an der Landesgrenze endet.
Was ist das Weltrechtsprinzip? Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit betreffen nicht nur Individuen und einzelne Länder – sondern die internationale Gemeinschaft als solche. Ist eine Strafverfolgung vor dem Internationalen Strafgerichtshof nicht möglich ist, dann bietet das Weltrechtsprinzip, auch Prinzip der Universellen Jurisdiktion genannt, einen möglichen Weg zur Gerechtigkeit.
Das ECCHR wurde in Folge einer juristischen Intervention im Rahmen des Weltrechtsprinzips gegründet, als Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck mit dem Center for Constitutional Rights (CCR) 2004 Strafanzeige in Deutschland gegen die wichtigsten Architekt*innen des US-amerikanischen Folterprogramms stellte, darunter der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Ex-CIA-Direktor George Tenet. Die Intervention richtete sich gegen die Doppelstandards des Internationalen Strafrechts, das führende Repräsentant*innen aus Regierung, Militär und Geheimdiensten mächtiger Nationen häufig Straflosigkeit gewährt, während die Repräsentant*innen weniger mächtiger Länder für ihre Verbrechen belangt werden. Zwar war dem CCR mit seiner Strafanzeige letztlich kein Erfolg beschieden, doch erregte sie internationale Aufmerksamkeit und Europa sah sich gezwungen, noch einmal deutlich gegen das Verbrechen der Folter Stellung zu beziehen. Der Vorstoß zeigte, dass das Weltrechtsprinzip Potenzial bietet, das es zu nutzen gilt, und führte 2007 zur Gründung des ECCHR.
George W. Bush cancelte seine Europareise, als Menschenrechtsanwälte mit rechtlichen Schritten wegen Folter drohen © DemocracyNow!
Wer mit dem Weltrechtsprinzip Gerechtigkeit erlangen will, braucht einen langen Atem. Doch Verfahren, die internationale Präzedenzfälle schaffen, sind das Warten wert. Als Reaktion auf die brutale Niederschlagung der syrischen Aufstände von 2011 und 2012 durch das Assad-Regime begann der ECCHR-Programmbereich „Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung“ mit der völkerstrafrechtlichen Aufarbeitung des Syrien-Konfliktes. Das Team wählte dafür einen überlebenden-zentrierten Ansatz und kooperierte eng mit der Zivilgesellschaft im Land. Nach dem russischen Veto im UN-Sicherheitsrat, das ein Eingreifen des IStGH unmöglich machte, eröffnete die deutsche Justiz ein bahnbrechendes Verfahren zu Staatsfolter in Syrien. Nach zweijähriger Verhandlung verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz im Februar 2021 und Januar 2022 zwei Vertreter des Assad-Regimes, darunter ein hochrangiger Oberst und Leiter eines Haftzentrums in Damaskus, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Partneranwält*innen des ECCHR unterstützten 29 syrische Folterüberlebende im Prozess. 14 von ihnen traten als Nebenkläger*innen auf.
Das Verfahren vor dem OLG Koblenz ist ein internationaler Präzedenzfall insofern, als hier das Weltrechtsprinzip gegen Mitglieder einer noch amtierenden Regierung angewandt und zugleich die erste umfassende rechtliche Dokumentation der zahllosen vom Assad-Regime verübten Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung des Landes erstellt wurde. In der Folge des Koblenzer Prozesses wurden in Europa und den USA weitere Verfahren im Zusammenhang mit syrischer Staatsfolter eröffnet, während gegen einen der ranghöchsten Mitglieder des Assad-Regimes, dem Geheimdienstchef der syrischen Luftwaffe Jamil Hassan, ein Haftbefehl erging. Während des Koblenzer Verfahrens ersuchten die ECCHR-Partneranwält*innen zudem erfolgreich das Gericht, sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt – als häufig systematisch in Konflikten verübte, doch selten als solche geahndete Straftaten – als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhandeln.
Aktuell unterstützt das Team die Strafverfolgung russischer Streitkräfte wegen ihrer Beteiligung an Völkerrechtsverbrechen in der Ukraine.
Dieser Sammelband gibt Einblicke in den Koblenzer Prozess und ordnet diesen historisch, gesellschaftlich, aber auch mit Blick auf Theorie und Praxis des Völkerstrafrechtes ein.
This anthology examines the larger historical and political context of the Koblenz trial.
In dieser Publikation dokumentieren wir das historische Verfahren mithilfe von persönlichen Stimmen, Prozessberichten und Gerichtsdokumenten, damit das Geschehen auch zukünftig nachvollzogen werden kann.
Europas Verantwortung für US-Drohnenangriffe: Weltweit und immer wieder werden bei Drohnenangriffen der USA unschuldige Menschen getötet. Europa spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die US-Militärbasen in Ramstein (Deutschland) und Sigonella (Italien) unterstützen Drohnenangriffe im Jemen und weiteren Ländern. Gemeinsam mit Betroffenen und Partner*innen auf der ganzen Welt nutzt das ECCHR rechtliche Mittel und Wege, um dem unrechtmäßigen Töten durch bewaffnete Drohnen ein Ende zu setzen.
Das Team thematisiert auch die dramatischen Folgen der Drohnenkriegsführung für die Zivilbevölkerung in Konfliktzonen. Diese Bemühungen sollen im Kontext des Internationalen Strafrechts zu einer Stärkung des in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Rechts auf Leben beitragen. Der Fokus liegt hier insbesondere auf der deutschen Unterstützung des US-Drohnenprogramms durch den Austausch von Informationen und die Gewährung umfassender Rechte für US-Militärstützpunkte wie Ramstein, die an rechtswidrigen Drohnenangriffen beteiligt sind.
Mit Blick auf den Bürgerkrieg in Syrien gab es bereits Gesetze, um gegen die Brutalität des Assad-Regimes vorzugehen - diese Gesetze mussten nur angewendet werden. In anderen Fällen ist die Gesetzeslage jedoch unzureichend oder entsprechende Regelungen fehlen ganz. Daher hat das Team der ECCHR-Programmbereichs “Wirtschaft und Menschenrechte” gemeinsam mit Partner*innen und Betroffenen in den letzten zehn Jahren an der Neugestaltung der rechtlichen Bestimmungen zur Unternehmensverantwortung gearbeitet.
Der Einsturz der Rana Plaza Fabrik in Bangladesch im Jahr 2013 zählt zu den schwersten Industrieunglücken der Geschichte. Über 1.100 Menschen starben, mehr als 2.500 wurden verletzt. Dass auch europäische Textilunternehmen in der Fabrik produzieren ließen, sorgte europaweit für Empörung. Mit Partnerorganisationen, Aktivist*innen und Betroffenen reichte das ECCHR Beschwerden gegen TÜV-Rheinland und die Business Social Compliance Initiative (BSCI) ein, zwei Instanzen, die für die Sicherheitsprüfung von Industrieanlagen zuständig sind. Zwar brachten die Verfahren den Betroffenen letztlich kein zufriedenstellendes Ergebnis, doch förderten sie die Einsicht, dass die permanenten Verstöße gegen die Menschenrechte in von europäischen Unternehmen beauftragten Produktionsstätten ein politisch drängendes Problem sind.
2015 lenkte ein tödliches Feuer in einem pakistanischen Werk, das unter anderem Waren für die deutsche Firma KiK herstellt, ein weiteres Mal die Aufmerksamkeit auf die unmenschlichen Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in den Textilfabriken des Globalen Südens. Unterstützt vom ECCHR und medico International verklagten Betroffene das Unternehmen vor dem Landgericht Dortmund auf Schadenersatz. Der umfassend publizierte Fall machte erneut deutlich, dass freiwillige Standards für die unternehmerische Verantwortung nicht ausreichen, um die Menschenrechte der in diesen Anlagen weltweit Arbeitenden zu schützen. Es brauchte bindende Gesetze.
Rana-Plaza-Katastrophe: Überlebende kämpfen immer noch für Gerechtigkeit
Architektonische Analyse für den Fall KiK/Pakistan in Deutschland durch Forensic Architecture
Beide Fälle gingen mit einer Mobilisierungskampagne einher, um Druck auf Politiker*innen auszuüben, damit sie sich für mehr Unternehmensverantwortung einsetzen. Die Kampagne hatte Erfolg. Mehrere Länder erließen neue Gesetze zur unternehmerischen Verantwortung: Frankreich verabschiedete 2017 das Gesetz über die Wachsamkeitspflicht (Loi de vigilance), das deutsche Lieferkettengesetz trat 2023 in Kraft. Diese Gesetze verpflichten die Unternehmen, über die gesamte globale Lieferkette hinweg zu prüfen, dass die Menschenrechtsstandards eingehalten werden (Due Diligence). Aktuell verhandeln die EU-Staaten über ein ähnliches Gesetz auf europäischer Ebene.
Darüber hinaus setzt sich das ECCHR für einen europäischen Exportstopp von gefährlichen Pestiziden ein. Gerade im Globalen Süden stellt der Einsatz dieser Pestizide eine große Gefahr für Landarbeiter*innen, die ländliche Bevölkerung und die Umwelt dar. Die europäischen Pestizidproduzenten sind ein Paradebeispiel für die vorherrschenden Doppelstandards: Nach wie vor exportieren agrochemische Konzerne in Europa verbotene Substanzen ins außereuropäische Ausland.
Giftige Pestiide in Punjab/India – Organisationen aus Europa und Asien, darunter das ECCHR, haben im Oktober 2015 bei der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen eine Beschwerde über die Vermarktung von gefährlichen Pestiziden durch Bayer und Syngenta in Punjab/Indien eingereicht. Wie dieses Video zeigt, werden Pestizide ohne angemessene Kennzeichnung, verfügbare Schutzkleidung und angemessene Schulung der Landwirtinnen und Händlerinnen verkauft.
Neben einem europäischen Exportstopp von gefährlichen Pestiziden kämpft das Team auch gegen die Ausfuhr europäischer Waffen in Konfliktgebiete, wo sie gegen die Zivilbevölkerung zum Einsatz kommen. Im Fokus stehen dabei die italienische Behörde für Waffenexporte und die italienische Firma RWM, eine Tochterfirma des deutschen Rüstungsunternehmen Rheinmetall AG, wegen Waffenexporten an das von Saudi-Arabien angeführte Militärbündnis im Nahen Osten. Denn bei einem Luftangriff im Jemen, bei dem Zivilist*innen starben, wurden Teile einer Lenkbombe der Firma RWM gefunden. Nach mehreren Klageabweisungen durch italienische Gerichte hat das ECCHR 2023 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde gegen Italien eingelegt.
Zweifellos bewirkten die Bemühungen des Teams in den vergangenen zehn Jahren in einigen Bereichen signifikante Veränderungen im Bereich der Unternehmensverantwortung. Doch die Klimakrise belegt, dass eine auf Extraktion und Ausbeutung basierende Weltwirtschaft auch massive ökologische Auswirkungen hat. Klimagerechtigkeit ist daher ein weiteres zentrales Anliegen des Teams.
Forensic Architecture
In der Nacht vom 8. Oktober 2016 schlug eine Bombe des von Saudi-Arabien angeführten Militärbündnisses im Jemen ein.
Bei juristischen Interventionen geht es nicht nur darum, existierendes Recht anzuwenden oder rechtliche Bestimmungen neu zu gestalten, manchmal geht es auch darum, bestehende Rechtsvorschriften zu schützen und durchzusetzen. Dies betrifft vor allem die Rechte Schutzsuchender an den EU-Außengrenzen. Immer häufiger werden Menschen, denen die Flucht nach Europa gelingt, ohne Zugang zu einem fairen, rechtsstaatlichen Asylverfahren brutal und unter Lebensgefahr zurückgeschoben. Doch die Grenzgebiete Europas sind keine rechtsfreien Räume. Daher kämpft das Border Justice Team des ECCHR seit mehr als zehn Jahren für den Schutz der Rechte von Schutzsuchenden.
Nach dem großen Zustrom von Personen, die 2015 Sicherheit in Europa suchten, setzten zahlreiche EU-Staaten auf Abschreckung und verstärkten ihren Grenzschutz. Pushbacks wurden zur Regel, und während die Gerichte Pushbacks immer häufiger dulden, werden Schutzsuchende und diejenigen, die sie verteidigen und unterstützen, zunehmend kriminalisiert.
Neben der mangelnden Bereitschaft nationaler und internationaler Gerichte, in Pushback-Fällen wirksam zu ermitteln und die Rechte Schutzsuchender zu schützen, stellt auch das Fehlen von Beweisen – oder deren bewusste Vernichtung durch Grenzbeamt*innen – ein großes Problem für die Prozessführung dar. Da viele Pushbacks illegal und inoffiziell erfolgen, mussten neue Wege gefunden werden, dieses Unrecht zu dokumentieren und zu belegen.
Parvin A. wurde während ihrer Flucht aus dem Iran auf dem Weg von der Türkei nach Griechenland sechs Mal gewaltsam zurückgeschoben, ohne jemals Zugang zu einem Asylverfahren erhalten zu haben. Sie konnte aber die Geodaten ihrer Aufenthaltsorte übermitteln und ihre Haftbedingungen auf Videos und in Fotografien festhalten. Im Rahmen des Investigative Commons Projekts , nutzte das Border Justice Team des ECCHR in Zusammenarbeit mit Forensic Architecture Parvins Daten und Zeugenaussagen für die Kartografierung ihrer Reise und für eine virtuelle Simulation ihrer Inhaftierung.
The Gourougou Trial - Trailer © SONDA Internacional
Auf der Suche nach neuen Ideen für die kreative und gesellschaftliche Durchsetzung der Menschenrechte gründeten wir 2020 das Investigative Commons. Die multidisziplinäre Kooperation ist das Ergebnis der jahrelangen Zusammenarbeit des ECCHR und der Forschungseinrichtung Forensic Architecture.
Beschwerde gegen Griechenland vor dem UN-Menschenrechtsausschuss – Schwer misshandelt, irregulär inhaftiert und mehrfach gewaltsam aus Griechenland in die Türkei zurückgeschoben – die detaillierten Schilderungen von Parvin A. sowie vielfältiges weiteres Beweismaterial legen die verdeckte und systematische Pushback-Praxis Griechenlands offen.
Zwar genießen Kinder und Minderjährige weltweit einen besonderen Rechtsschutz, doch auch sie werden regelmäßig Opfer illegaler Pushbacks. Immer häufiger weigern sich EU-Behörden, Kindern den Schutz zu gewähren, der ihnen rechtmäßig zusteht. Zahlreiche Berichte dokumentieren die von Grenzbeamt*innen ausgeübte physische Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. U.F. erlebte diese Gewalt, als er Asyl in der Europäischen Union suchte. Das ECCHR begleitet seinen Fall aktuell vor dem UN-Kinderrechtsausschuss.
U.F. ist ein minderjähriger und unbegleitet geflüchteter Rohingya aus Myanmar. Zwischen August 2020 und Juli 2021 durchlebte er auf der Suche nach Schutz in Europa eine sogenannte Kettenzurückschiebung von Slowenien und mehrere gewaltsame Zurückschiebungen (Pushbacks) von Kroatien nach Bosnien-Herzegowina.
Es ist zu erwarten, dass die Zahl der Schutzsuchenden angesichts der sich überschneidenden wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Turbulenzen steigen wird. Das ECCHR kämpft für den Erhalt der bestehenden rechtlichen Schutzmechanismen an Europas Grenzen. Wir fordern Transparenz und ein Ende der systematischen Pushback-Politik der Staaten. Die Verantwortlichen für die dort erfolgenden Gesetzesverstöße müssen zur Verantwortung gezogen werden.
Jahrhundertelang dienten Gesetze der Rechtfertigung und Legitimierung von Unterdrückung, kolonialem Rassismus, Extraktion und der Aneignung indigener Territorien. Damit unsere Vision von globaler Gerechtigkeit Wirklichkeit werden kann, evaluieren wir ständig unsere Methoden, pflegen den regelmäßigen Austausch mit unserem Netzwerk globaler Partner*innen und der nächsten Generation von Menschenrechtsanwält*innen und widmen uns der kritischen Bewertung der bestehenden repressiven Machtstrukturen im Recht. Seit 2018 nimmt das Institut für juristische Intervention des ECCHR diese Aufgaben wahr. In seinem dekolonialen, feministischen und rechtskritischen Ansatz ermöglicht es Kooperationen mit Kunstschaffenden, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen auch außerhalb des Gerichtssaals.
Das Vermächtnis des 1904 bis 1908 von den Deutschen verübten Genozids an den Ovaherero und Nama in Namibia wirkt bis heute in unterschiedlichen Instanzen fort: im Landraub über die Generationen hinweg, im Wohlstand, der durch den Völkermord erworben wurde, im Ausbleiben der offiziellen Schuldanerkennung Deutschlands und in den nie geleisteten angemessenen Reparationen. Menschliche Gebeine und Kulturgüter kolonialer Herkunft finden sich nach wie vor in den Beständen deutscher Museen und Archive. In Kooperation mit unseren Partner*innen wollen wir die rassistischen und kolonialen Strukturen offenlegen, mit denen die noch heute andauernde Enteignung der von Kolonialisierung betroffenen Menschen gerechtfertigt wird. Gleichzeitig fordern wir Entschädigungen, bei denen die Bedürfnisse und Perspektiven der Betroffenen oberste Priorität haben.
Interim findings of the research conducted around the Waterberg © HKW
Für die Offenlegung der Machtstrukturen im Recht nutzt das ECCHR auch wissenschaftliche und künstlerische Methoden. Mit Hilfe von Wissenschaft und Kunst visualisieren und kartografieren wir die komplexen Kämpfe zur Durchsetzung der Menschenrechte. Bei Konferenzen und in Workshops mit Vertreter*innen der akademischen Forschung und anderen Expert*innen kontextualisieren wir unsere Projekte, feilen an unseren Strategien, nehmen Einfluss auf Diskurse und präzisieren unsere Forderung nach einer kontrahegemonialen, progressiven Auslegung und Anwendung der Gesetze. Bei der Verteidigung der Menschenrechte setzen wir in Kooperationen mit Kunstschaffenden auch auf Emotionen. Frei von den einengenden Strukturen des juristischen Rahmenwerks belebt die Kunst den Kontext unserer Arbeit und vermittelt einer breiteren Öffentlichkeit die Bedeutung unserer Arbeit.
Seit 12 Jahren bietet das ECCHR juristische Aus- und Fortbildung künftiger Menschenrechtsanwält*innen im Rahmen des Critical Legal Training (CLT) an. Neben der Vermittlung eines kritischen Ansatzes in der juristischen Menschenrechtsarbeit führen wir unsere Auszubildenden in unser globales Netzwerk von Partnerorganisationen ein und fördern ihre berufliche Laufbahn. Von 600 Alumn* aus siebzig Ländern arbeiten heute viele in fortschrittlichen Menschenrechtsorganisationen und eigenen Kanzleien, in Forschung und Lehre, bei Gericht oder in staatlichen Einrichtungen.
Repressive Machtstrukturen wirken nicht nur im kodifizierten Recht, sondern auch in den Institutionen und Expertisen, die der Beweisführung dienen. 2020 rief das ECCHR in Zusammenarbeit mit Forensic Architecture und Forensis die Investigative Commons (IC) ins Leben. Dieses Projekt hinterfragt und unterläuft das institutionelle Monopol der Entscheidung über das, was als Beweise in Verfahren zugelassen wird. Dabei konzentrieren wir uns auf die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen mit Material aus öffentlich zugänglichen Quellen, beispielsweise Bild- und Tonaufnahmen per Handy, die online veröffentlicht werden. Dieser gigantische Datenschatz lässt sich jedoch nur mit innovativer Technik authentifizieren, analysieren, als Beweis sichern und in diversen Foren präsentieren.
In unserer heutigen Welt, die – von Klimakrise und Pandemien über wachsende Ungleichheit bis hin zu Flucht und Vertreibung – von miteinander verflochtenen Krisen geprägt ist, ist es wichtiger denn je, diese Probleme in den Fokus zu rücken und neue Strategien zu entwickeln, um ihnen mittels rechtlicher und politischer Maßnahmen entgegenzutreten. Seit 75 Jahren bietet die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen die Vision einer Welt frei von Folter, Kriegsverbrechen, Ausbeutung, sexualisierter Gewalt und abgeschotteten Grenzen. Doch jeder Versuch, diese Vision von Gerechtigkeit zu verwirklichen, erforderte immense Kämpfe, die vor allem von unterdrückten Gruppen und Einzelpersonen geführt wurden. In den letzten Jahrzehnten konnten einige Erfolge erzielt werden, doch die globalen Krisen, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen, werden uns einen noch entschlosseneren Einsatz sowie unsere gesamte verfügbare Energie abverlangen. In diesem Zusammenhang möchten wir all jenen danken, die gemeinsam mit uns darauf hinarbeiten, um diese Utopie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu verwirklichen. Denn die Realität ist: Es gibt keine Alternative.